Deutsch-böhmische Siedlungen

Herbert Weiß berichtet bei den Familienforschern über Aussiedler in den Karpaten.

Herbert Weiß hielt einen interessanten Vortrag bei den Familienforschern in der Altenmarkter Klostermühle. Foto: Schmidbauer
Herbert Weiß hielt einen interessanten Vortrag bei den Familienforschern in der Altenmarkter Klostermühle. Foto: Schmidbauer

Auf positive Resonanz ist das erste Treffen der Familienforscher des Landkreises Cham der GFO (Gesellschaft für Familienforschung in der Oberpfalz) im neuen Jahr gestoßen. Herbert Weiß beschäftigte sich in der Klostermühle Altenmarkt mit dem Thema „Deutsch-böhmische Siedlungen im Karpatenraum“.

 

Zum Einstieg stellte der Referent einen Bezug zu den aktuellen Diskussionen rund um Zuwanderung und Asyl her: „Betrachtet man die letzten 200 Jahre, dann haben wir genug Erfahrung mit unserer eigenen Auswanderung gesammelt“. 

Dann leitete Weiß zu seinem eigentlichen Thema über, den Herkunftsorten der ersten Kolonisten in deutsch-böhmischen Ansiedlungen im Gebiet des Karpatenbogens. Sie liegen fast ausnahmslos im bayerisch-böhmischen Grenzraum. Für die meisten Dörfer sei nie eine Chronik geschrieben worden und viele Kirchenbücher sind verloren gegangen.

Dennoch würden sich aus dem bayerisch-böhmischen Grenzgebirge größere Gebiete eingrenzen lassen: die hochgelegenen Teile des Böhmerwaldes im Raum Winterberg-Prachatitz-Wallern, der Nordabfall des Böhmerwaldes zur Further Senke hin und nicht zuletzt das südliche Egerland.

„Von unserer Gegend zu nennen sind zum Beispiel Haselbach, Vollmau, Althütten, Rothenbaum sowie das Land der künischen Freibauern“, so Weiß.

 

Motive der Auswanderer

 

Im nächsten Abschnitt beleuchtete er die wirtschaftliche Struktur und die Motive für die Auswanderung. Die Böhmerwalddörfer des 18. Jahrhunderts hatten mit einer starken Bevölkerungszunahme zu kämpfen. Ging es schon den Bauern nicht so gut, so hatten erst recht die Inleute und Häusler meistens ein schlechtes Leben. Dementsprechend war es Glück, wenn sich für die armen Leute die Möglichkeit einer Abwanderung auftat.

Den ledigen, besitzlosen Männern war die Gründung einer Familie nur möglich, wenn sie ein Handwerk erlernten und als Meister Aufnahme fanden, oder der Bauer nach langer Dauer des Knechtseins eine Aufnahme als Inmann zusicherte. Ein weiteres Übel, das den Inwohnern und deren Söhnen die Liebe zur Heimat austrieb, war das Einfangen und Stellen zum Militärdienst. Die Bauern und selbstständigen Handwerker waren vom Militärdienst befreit. Es gab keine allgemeine Wehrpflicht und der Wehrdienst dauerte zwischen drei und zwölf Jahre. Die künftigen Rekruten wurden im Grunde eingefangen, oftmals in der Nacht.

 

Friedliches Zusammenleben

 

Die Zielrichtung der Auswanderung umfasste überwiegend Amerika sowie Ost- und Südosteuropa. Weiß konzentrierte sich bei seinem Vortrag auf die Gebiete Karpaten-Ukraine, Bukowina, Galizien und Banat.

„Ich selbst war in all diesen Gebieten im Laufe der letzten drei Jahrzehnte mehrmals dort und durfte gute Erfahrungen machen“, so Weiß. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nannten Menschen zehn verschiedener ethnischer Gruppen die Karpaten-Ukraine ihre Heimat. Zu den Ruthenen, Boiki und Huzulen kamen Deutsche, Ungarn, Rumänen, Tschechen, Polen, Jugoslawen, Juden und Zigeuner. Sie lebten friedlich nebeneinander. Die deutsch-böhmischen Holzschläger-ansiedlungen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Ansiedler kamen aus dem Gebiet um Prachatitz und Winterberg in Südböhmen. Fast alle wurden ursprünglich als Holzhauer angeworben. Die Anfangsbedingungen waren alles andere als einfach.

Hinsichtlich der politischen Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg führten die Deutschen ein abgeschlossenes Eigendasein und sie hatten keinen Einfluss in der Tschechoslowakei. Die deutschen Sprachinseln waren über das ganze Land verteilt und ringsum von slawischen Nachbarn umgeben.

 

Schicksal besiegelt

 

Erst nach längerer Zeit kamen sie mit der großen Sudetendeutschen Partei in Verbindung. Als im Verein mit dieser Partei die Hakenkreuzfahnen und Bilder des Führers erschienen, bekam die tschechoslowakische Regierung Angst und sie verbot im Jahr 1938 die Karpatendeutsche Partei. Die Spannungen mit den Tschechen führten dazu, dass im März 1939 die Ungarn in die Karpaten-Ukraine einfielen. Natürlich mit Einverständnis von Hitler und daher für die Deutschen mit fatalen Folgen. Insgesamt 40 000 Deutsche wurden zur Wehrmacht eingezogen. Ein Großteil der Ruthenen wiederum schloss sich auf russischer Seite den Partisanen an. Das Schicksal der Karpato-Ukraine war besiegelt, sie wurde nach Kriegsende ein Teil der Sowjet-Ukraine.

Ein Teil der 12 000 Deutschen konnte noch nach Deutschland gebracht werden. Etwa 8 000 Personen wurden nach Sibirien geschafft und am Oberlauf des Ob und Irtysch angesiedelt.

Die Bukowina, auch das Buchenland genannt, liegt im Nordosten von Rumänien. Der südliche Teil gehört heute zu Rumänien und der nördliche zur Ukraine. Die Auswanderung in die Bukowina erfolgte vornehmlich auf privater Basis. Die meisten Familien waren völlig allein auf sich gestellt. Galizien war geschichtlich ein Teil von Polen. Während im 18. Jahrhundert vorwiegend Pfälzer in die ostgalizischen Gebiete einwanderten, entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts Siedlungen der Egerländer und Böhmerwäldler sowie von Menschen aus dem Gebiet des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes sowie des Mühlviertels. Vorsitzende Elfriede Dirschedl bedankte sich zum Abschluss bei Herbert Weiß mit einer kleinen Anerkennung: „Das war wieder einmal ein hochinteressanter und hochfundierter Vortrag.“

 

Der Vertreibung getrotzt

Die kuriose Geschichte des Dorfes Chmelnica in der Ostslowakei

 

In der Ostslowakei gibt es ein Dorf mit dem Namen Chmelnica, früher Hopgarten, erzählte Weiß. Dieser Ort sei ein Kuriosum. Zwischen Spätsommer 1944 und Herbst 1946 wurden in der ganzen Slowakei und Tschechien die Deutschen massenhaft vertrieben. Ein Dorf, und zwar Hopgarten, schaffte es aber, der Vertreibung zu trotzen. Mitte Dezember 1944 kam die Front immer näher und die Regierung der Slowakei, die mit Hitler verbündet war, ordnete die Evakuierung an. Die Hopgartner flohen in die Nachbarorte, die Front zog vorbei und die Leute kamen wieder in das Dorf zurück. Im Frühsommer 1946 umstellten tschechische Soldaten den Ort. Alle deutschen Bewohner wurden in ein Sammellager gebracht. Als aber der slowakische Dorfpfarrer und die slowakischen Bürgermeister der Nachbargemeinden intervenierten, kamen sie wieder frei. Offenbar wussten die slowakischen Behörden noch nicht genau von den Vertreibungsbestimmungen.

Nach kurzer Zeit tauchten wieder die tschechischen Soldaten auf. Die Hopgartner erfuhren davon, packten das Nötigste zusammen und versteckten sich im Wald. Mit Hilfe der slowakischen Nachbarn ging das den ganzen Sommer so weiter, bis sie in Ruhe gelassen wurden. 1948 wurde ihnen das Angebot unterbreitet, slowakische Staatsbürger zu werden. Die meisten packten die Gelegenheit beim Schopf und erklärten sich zu Slowaken. Heute wird im ganzen Dorf noch Deutsch gesprochen. Die Bewohner stammen von der oberschlesischen Sprachinsel Kostenthal.

„Bei unserem Besuch 2016 unterhielten wir uns mit den Leuten und sie erzählten uns ihre Geschichte“, berichtete Weiß. Von den rund 900 Einwohnern sind zwei Drittel Deutsche.